Dissertationsprojekt Laura Katharina Mücke

Anti | Immersion. Zur Performativität filmischer Erfahrung

In der zeitgenössischen Begeisterung für die immersiven Möglichkeiten medialer Erfahrung, für den Sieg des Virtuellen über das Reale im Zuge der baudrillardschen hyperrealen Gesellschaft, in der ein Kontaktabbruch zwischen Medium und Rezipient schier nicht mehr wünschenswert ist, ist das Potenzial eines dazu gegenteiligen Gedankens bislang unbeachtet geblieben: der Faktor der medialen Distanzierung.

Mit der Betitelung ‚Anti | Immersion‘ wird ein neuer Zugang zum Wirkungsbegriff der Immersion beschrieben, der dem viel zitierten näheerzeugenden Prozess filmischer Erfahrung ganz grundlegend die Eigenschaft der gleichzeitigen Schaffung von Distanz angliedert. Immersion ist hierfür in der Forschungstradition der Phänomenologie als doppelseitiges Changieren zu begreifen, durch das die Positionierungen von Werk und RezipientIn zueinander während der Betrachtung stetig neu ausgelotet werden. Damit stellt die von Hans Robert Jauß („Kleine Apologie der ästhetischen Erfahrung“, 1972) und Christiane Voss („Der Leihkörper“, 2013) nur am Rande formulierte These, dass ästhetischer Genuss erst aus der reziproken Annäherung und Distanzierung zwischen Filmobjekt und Betrachtungssubjekt entstünde, den zentralen Erkenntnisgegenstand der Dissertation.

Dass konstant von ‚Medium‘ gesprochen wird, obwohl sich die Arbeit im Fach der Filmwissenschaft verortet, resultiert aus dem Umstand, dass das Produkt Film heute zunehmend in postkinematographischem Erscheinungsbild und Rezeptionsrahmen anzutreffen ist und daher stets im Kontext von Medienumgebungen und -fusionen analysiert werden muss. Nähe und Distanz begreift die Arbeit in diesem Zuge konkret als Prozesse, welche die innerfilmischen und vor allem die außerfilmischen Wirklichkeitsebenen durchziehen und ein ganzheitliches, mehrschichtiges Erlebnis evozieren. In Anlehnung an Julian Hanich („The Audience Effect“ (2018)) und Francesco Casetti sind Filmerfahrungen stets hinsichtlich ihrer doppelten Ortserfahrung zu betrachten: Dass Webserien beispielsweise speziell für Smartphones entwickelt werden und Filmsichtungen damit nicht nur zu einer mobileren und multifokussierenden Nebenbei-Erfahrung werden, verweist auf die Notwendigkeit, den Begriff der Immersion gerade jetzt neu zu befragen.

Hierfür tätigt die Arbeit einen zeitgemäßen Blick auf filmhistorische Kontexte der Erfahrung. Die Dominanz und etablierten Prämissen des Kino-Dispositivs werden hinterfragt und mittels des Begriffs der ‚Performativität‘ angereichert. In der Eingliederung dieses von Erika Fischer-Lichte (2004) lancierten Begriffs fusioniert die Arbeit gezielt die Disziplinen der Film- und Theaterwissenschaft. Zentrale Konzepte und Begriffe beider Disziplinen (Performativität, mediale Ko-Präsenz, autopoietische Feedbackschleife, Immersion) sollen vice versa angewandt und Ähnlichkeiten sowie Differenzen herausarbeitet werden. Das damit entwickelte Analysemodell rekurriert auf die Wirklichkeitsebenen filmischer Erfahrung nach Etienne Souriau, welches dabei hilft, die folgenden Beispielanalysen als ganzheitliche Dispositivanalysen mit Michel Foucault zu betreiben und damit zu erweisen, dass der rein semantisierende Zugang zum Film heute ganz entscheidende Komponenten filmischer Rezeption und ihrer lebensweltlichen Wirkweise außen vor lässt. Die damit erreichte Dynamisierung des filmischen Wirkbegriffes will somit den komplexen Herausforderungen heutiger hybrider Medienerfahrung wissenschaftlich begegnen.

 

Erstgutachterin: Prof. Dr. Oksana Bulgakowa (Filmwissenschaft)

Zweitgutachterin: Jun.-Prof. Dr. Julia Stenzel (Theaterwissenschaft)