Fachtagung „Stille, Sound, Musik: Akustische Ebenen der Immersion“

Interdisziplinärer Workshop an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 09. und 10. November 2018

Veranstalter:
Peter Niedermüller, Musikwissenschaft (Mainz)
Wolfgang Fuhrmann, Musikwissenschaft (Leipzig)
Laura Katharina Mücke, Filmwissenschaft/Mediendramaturgie (Mainz)
in Kooperation mit der SoCuM AG 2: "Immersive Räume"
Mitdiskutantin: Prof. Dr. Oksana Bulgakowa, Fellow des ifk Wien im Wintersemester 2018/19

Veranstaltungsorte:
Donnerstag, 08. November: Eröffnungs-Performance von Anita Hafner ("Digital Movieloops" mit anschließendem Sektempfang im Medienhaus, Wallstraße 11

Freitag, 09. und Samstag, 10. November: Linke Aula, Johann-Joachim-Becher-Weg 5

 

Inhaltliche Zusammenfassung:

Stille und Klang spielen beim Phänomen der Immersion eine zentrale Rolle. Versteht man unter „Immersion“ sehr grob umrissen die Erfahrung des „Eintauchens“ oder „Besetztwerdens“ des Bewusstseins durch ästhetische Phänomene, virtuelle Realitäten o. ä., dann ist die akustische Ebene von Immersion nicht zu vernachlässigen. Dennoch wird ihr eher selten systematische Aufmerksamkeit geschenkt.
Der Workshop möchte die mögliche Verschränkung von Immersion und Stille, Klang und Musik sowie deren Übergänge interdisziplinär inspizieren. Insbesondere die Stille ist für uns von Interesse, denn sie stellt mehr dar als eine bloße akustische Leerstelle, die Abwesenheit auditiver Reize. Das Konzept der Stille verfolgt vielmehr eine ambivalente künstlerische Tradition. Den heutigen Prozessen von Reizüberflutung und Daueraufmerksamkeit stehen spirituelle Beobachtungen dazu gegenüber, dass Stille der Ursprung allen Gelingens sei. Philipp Grönings Filmstudie des Kartäuserklosters Grande Chartreuse mit dem Titel Die große Stille (2005) betont gerade diesen Aspekt. Auf die sonderbare Position des Dazwischen der Stille weist nicht nur die kunstgeschichtliche Bezeichnung des „Stilllebens“ hin. Auch eine Komposition wie John Cages Klavierstück 4‘33‘‘ (1952) kann hier genannt werden. Dieses Stück zielt nicht auf das Absurde, sondern soll den Zuhörer auf den Übergang zwischen Hörbarem und Unhörbarem aufmerksam machen. Auch die Soundscape-Forschung versteht Stille nicht einfach als Gegenposition zum Sound, sondern als dessen unentbehrliches Komplement und Teil der Soundscape. Stille wird so zum Teil des erfahrenen Raumes.

Diese beiden Aspekte – Stille nicht als Negation, sondern als Träger von Ausdruck und Stille als Teil einer räumlichen Erfahrung – schlagen somit eine Brücke zu Räumen der Immersion. Gemeint sind hiermit mediale/virtuelle wie auch (überformte) physische Orte, die dem Rezipienten die Erfahrung vermitteln, metaphorisch gesprochen in eine andere Welt ‚einzutauchen‘ (etwa in Filmen und Video-Spielen, theatralen Aufführungen, aber auch in Themenparks, -restaurants und -geschäften, Kreuzfahrtschiffen oder touristisch aufbereiteten Orten). Um es am Beispiel des Films zu erläutern: Das ‚Eintauchen‘ in filmisch-fiktive Welten hängt klassischerweise explizit von einer großräumlichen Präsenz sowohl der visuellen Stimuli wie Breitbild und 3D, als auch von den auditiven Stimuli des Surround Sound ab. Dennoch scheinen jene Augenblicke in den Filmen von Jean-Luc Godard, wo Stille die Musik urplötzlich ablöst, das kontemplative Versinken in den Bildern erst herauszufordern und gerade die Momente der Stille in auditiv überfordernden Filmen wie „Der Nachtmahr“ (2015) bilden erst die immersiven Ruhepole der Filmerfahrung. Je nach der Strategie des Einsatzes können Geräusch/Sound oder auch Musik ihre immersiven Angebote gerade im dialektischen Widerspiel mit der Stille im Film entfalten. Die dabei auftretenden Fragen, ob mit (diegetischer) Stille einfach Nicht-Musik oder Nicht-Ton gemeint sind, im Sinne des Ausbleibens von Filmmusik oder gar des Ausbleibens von klanglicher Atmosphäre, oder aber ob lediglich das Schweigen im Dialog gemeint ist, sollen im Workshop zu einer systematischen Kategorisierung von Stille-Effekten in der
Kunst führen. Dabei können Werke im Vordergrund stehen, die ihre Momente der Stille deutlich den musikalischen/auditiven Momenten gegenüberstellen, oder Werke, die gänzlich ohne Ton(spur) funktionieren bzw. vollständig frei von Musik bleiben. Aber auch die Frage, was die Abwesenheit von Stille (durch einen kontinuierlichen Soundtrack bzw. klanglichen Hintergrund) für die immersive Erfahrung bedeutet, kann und soll thematisiert werden. Die Frage danach, inwiefern eine solche Stille intendiert ist oder nicht, kann dabei genauso relevant werden wie die topographische Unterscheidung zwischen der Stille des Kunstwerks und der Stille im Raum der Rezeption. Die historische Betrachtung der Stille kann ebenso im Vordergrund stehen wie eine methodische Auseinandersetzung mit der Stille als ästhetischem Mittel.
Ziel des Workshops ist es also, den Erfahrungsbegriff der Immersion hinsichtlich des Konzepts von Stille, Sound und Musik interdisziplinär zu konturieren und eine mögliche Systematik von medialen Stille-Effekten zu erarbeiten. Dabei sollen sich die Impulsvorträge mit einer maximalen Länge von 15 Minuten neben der theoretischen und/oder methodischen Fundierung vor allem an Beispielen orientieren, um die Relevanz und Bandbreite akustischer Ebenen der Immersion weitreichend zu illustrieren bzw. erfahrbar werden zu lassen. Erbeten werden daher Beiträge, in denen die Übergänge und dialektischen Wechselwirkungen zwischen Stille und auditiven Ereignissen ausgelotet worden.

Der Einsatz von Stille, Sound und Musik im Film bildet einen naheliegenden Schwerpunkt des Workshops. Doch sind Beispiele aus anderen Gegenstandsbereichen ebenso willkommen, wie zum Beispiel der Literatur, dem Theater, Computerspielen, von Themenparks oder der bildenden Kunst. Der Workshop will inhaltlich und methodisch zum interdisziplinären Dialog beitragen.