Die Exkursion fand im Rahmen des Seminars „Gegenwartstendenzen des israelischen Films“ (WS 2018/19) unter der Leitung von Dr. Roman Mauer und Laura Katharina Mücke, M.A. statt. Die Studienfahrt wurde gefördert durch PROMOS und die Nahost-Förderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Das Programm in Israel organisierte die Bildungsstätte DIALOG.
Dienstag, 26.03.2019
An unserem ersten Tag in Tel Aviv begleiten uns die Verse von Martin Buber: „Ich zeige etwas an der Wirklichkeit, / was nicht oder zu wenig gesehen / worden ist. / Ich nehme ihn, der mir zuhört, / an der Hand / und führe ihn zum Fenster. / Ich stosse das Fenster auf und zeige hinaus ... / Ich habe keine Lehre, / aber ich führe ein Gespräch.“ (Website von DIALOG) Nach unserem ersten gemeinsamen Frühstück in Israel treffen wir die Holocaustüberlebende und Gründerin von DIALOG, Hanna Tidhar, die uns an ihrem persönlichen Schicksal teilhaben lässt. Im regen Austausch beantwortet sie Fragen zu ihrer Vergangenheit, der Lebensrealität in Israel und Motivation für die Arbeit mit DIALOG – ein bereichernder Einblick! Danach werden wir in die komplexen politischen Verhältnisse und das Parteienspektrum eingeführt. Ortswechsel: In Kfar Saba erwartet uns die Kunsthochschule Beit Beri College. Während eines geführten Rundgangs über den Campus sprechen wir mit Studierenden des filmpraktischen Schwerpunkts über ihren Hochschulalltag. Wir sehen und diskutieren gemeinsam zwei sehr unterschiedliche Absolventenfilme, die eindrucksvoll Fragen der kulturellen Identität verhandeln. Gegen Abend reisen wir mit dem Bus weiter nach Jerusalem – eine schöne Gelegenheit, die Ereignisse des Tages Revue passieren zu lassen. Wir sind gespannt auf die bevorstehenden Eindrücke.
Mittwoch, 27.03.2019
Der Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wird wohl jedem von uns im Gedächtnis bleiben. Es ist viel mehr als ein Museum: Das Gedenk- und Forschungs-Zentrum erinnert nicht nur an die Geschichte der im Zweiten Weltkrieg vernichteten Juden, sondern informiert auch über das Leben der jüdischen Bevölkerung vor dem Nationalsozialismus. Oft vergessen wir, dass sich hinter den Opferzahlen Menschen mit Familien, Freunden, Arbeit und Freizeitaktivitäten befinden, Menschen, denen ihr Leben plötzlich verboten und entrissen wurde. Beim Gang durch die chronologische Ausstellung bleiben stets die Fragen präsent: Wie konnte eine solche Tragödie passieren und wie verhindert man eine weitere? Mit jedem neuen Raum: bedrückende Bilder, Filme, Texttafeln. Auch im weitläufigen Gelände bleibt die Dimension der grausamen Jahre spürbar. Vergessen werden aber nicht die Hoffnungsträger: Personen, die sich gewehrt und Menschen auf eigene Gefahr gerettet haben. Die „Allee der Gerechten unter den Völkern“ repräsentiert mit jedem gepflanzten Baum eine Person, die den Mut aufbrachte, Juden zu retten. Gemein haben sie alle den Glauben an die Menschlichkeit. Am Nachmittag besuchen wir an der Hebräischen Universität in Jerusalem eine Seminarstunde zum Thema Film. Ein israelischer Student, dessen Großeltern Holocaustopfer sind, zeigt offen, wie ihn die Situation mit uns überfordert. Wieder wird uns schmerzlich bewusst, wie persönlich und präsent der Holocaust in diesem Land ist und dass auch wir in der Verantwortung stehen – nicht für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart und Zukunft. Wir müssen unsere Stimme finden für die, die diese Stimme nicht bekommen oder denen diese Stimme genommen wurde. Martin Niemöller schrieb: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Donnerstag, 28.03.2019
Der dritte Tag in Jerusalem: Wir können uns endlich ein Bild von der weltberühmten Altstadt machen. Esther, unser Guide, führt uns als erstes über das Jaffa-Tor durch bunte Gässchen zur Grabeskirche. Deren verwinkelte Innenarchitektur wird von der engen Koexistenz verschiedener religiöser Gruppen geprägt. In der Maale Schule für Fernsehen, Film und Künste diskutieren wir zwei Kurzfilme mit einer Dozentin. Die Filme zeigen das künstlerische und technische Niveau der Studierenden und behandeln die Komplexität israelischer Identität: In The Little Dictator (2015, Nurith Cohn) wird der Umgang mit Holocaust-Überlebenden in der israelischen Gesellschaft thematisiert, in Barriers (2011, Golan Rise) das moralische Dilemma israelischer Grenzsoldaten vorgeführt. Am Tempelberg und der Klagemauer können wir dann selbst die Bedeutung Jerusalems als religiöses Weltzentrum erleben: Das tranceartige Beten der Gläubigen an der Mauer ist ein ungewohnter Anblick. Uns überrascht wie verschieden die Atmosphäre in den vier Vierteln der Altstadt – dem jüdischen, dem arabischen, dem christlichen und dem armenischen Viertel – ist. Als wir schließlich im Österreichischen Hospiz bei Apfelstrudel die Besichtigung ausklingen lassen, können wir den Gesang eines Muezzins hören, der vom benachbarten Minarett zum Gebet ruft. Die friedliche Stimmung, die überall herrscht, lässt uns vergessen, dass wir uns auf einem der konfliktreichsten Quadratkilometer der Welt bewegen.
Freitag, 29.03.2019
In Israel liegt Gegensätzliches nah beieinander. Am fünften Tag fahren wir in Jerusalem in einen Autobahntunnel und dahinter erwartet uns ein beeindruckender Anblick: Wüstenlandschaft, Kamele, Hirten – später dann die älteste und am tiefsten gelegene Stadt der Welt: Jericho. Unser Ziel sind das Tote Meer und die Festung Massada. Das Tote Meer wird von Jahr zu Jahr kleiner – während der Busfahrt glitzert es in der Ferne; kaum vorstellbar, dass vor 20 Jahren der Wasserspiegel fast bis an die Straße reichte. Am Berg mit der berühmten Festung Massada nehmen wir zu Fuß den steilen Aufstieg (oder die Gondel) und werden mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Esther gibt uns einen Einblick in die konfliktreiche Vergangenheit. Am Nachmittag erreichen wir mit dem Bus schließlich En Bokek und eine strahlende Sonne. Mit der Erschöpfung kommt das Treiben durch das kühle, erfrischende Wasser im Toten Meer wie gerufen! Nach der Rückfahrt ist der Tag längst nicht vorbei: Bei einer vom Hostel angebotenen Tour lassen sich bei Sonnenuntergang die Gebete zum Sabbat an der Klagemauer miterleben.
Samstag, 30.03.2019
Es ist Samstag, Schabbat, und unser letzter Tag in Jerusalem. Erstmals erkunden wir die Stadt auf eigene Faust. Während die jüdischen Viertel am heiligen Ruhetag fast wie ausgestorben daliegen und besonders in Me'a She'arim, dem Viertel der ultraorthodoxen Bevölkerung, die ansässigen Juden in edler Festtagskleidung zu sehen sind, herrscht in den muslimischen und christlichen Bezirken normaler Betrieb. Viele von uns nutzen die Zeit, um in Ruhe auf Souvenirsuche zu gehen. Andere erkunden Orte, die im Programm von DIALOG nicht vorgesehen waren, wie den Ölberg oder das besagte ultraorthodoxe Viertel. Einige sind auch für die Ruhepause nach den intensiven Tagen dankbar.
Am Abend bringt uns Shahar, ein Mitarbeiter unseres Hostels, zu einem kleinen Klezmer-Konzert. Dort wird das Ende des Schabbats, genannt Hawdala, zelebriert. Die Gläubigen teilen mit uns bei Kerzenschein den gesegneten Wein, lassen uns an ihren Speisen teilhaben und umrahmen das Ritual mit Geschichten ihrer Kultur und der jiddischen Volksmusik. Die heitere Stimmung wird anschließend weitergetragen in eine Bar, wo die Nacht ausklingt. Für viele in unserer Reisegruppe bleibt dieser unmittelbare, persönliche Kontakt mit der israelischen Kultur als einer der Höhepunkte der Exkursion in bester Erinnerung.
Sonntag, 31.03.2019
Am Sonntagmorgen fahren wir nach Bethlehem, wo uns Reiseführer Kamal Mukarker zunächst zu den Hirtenfeldern geleitet. Von hier aus sehen wir die umstrittenen Siedlungen der Israelis auf palästinensischem Boden. Kamal bringt uns den palästinensisch-israelischen Konflikt näher und erklärt, wie er sich auf das Leben der palästinensischen Bürger auswirkt. In der Engelskapelle erproben wir den ergreifenden Raumklang und singen Weihnachtslieder. In der Geburtskirche Jesu, die wir danach besuchen, findet gerade ein armenischer Gottesdienst statt, während Kamal für uns Bibelgeschichten und historische Fakten in Verbindung setzt. Die anschließende Führung durch den Markt Bethlehems in der Altstadt gibt uns Einblick in das Alltagsleben der Palästinenser. Dass Siedlungsbau und Mauer die Bewohner einschränken, wird auch im Gespräch mit Kamals Mutter Faten deutlich, die selbst lange Zeit in Deutschland lebte und schließlich wieder in ihr Heimatland Israel emigrierte. Faten lädt uns in ihr Haus ein, wo sie für uns leckeres arabisch-christliches Essen kocht und aus ihrem Leben erzählt. Bei Tee und Baklava regen Themen wie Freiheit, Kulturkonflikt und Identitätsfindung unseren Kurs zum Nachdenken an. Der persönliche Vortrag sowie die Gastfreundlichkeit der Familie rühren uns sehr. Umso ergreifender ist es dann, an der massiven, meterhohen Mauer entlang zu laufen, die das Land spaltet und deren Härte mit Graffitis und Streetart künstlerisch reduziert und zugleich betont wird. Politische Statements und individuelle Kunstwerke zeigen, dass es selbst hier keine Grenzen für kreatives Schaffen gibt. Gegenüber der Mauer befindet sich das Banksy Hotel („The Walled Off Hotel“), in dem wir verschiedene Werke Banksys, aber auch anderer politischer Künstler betrachten können.
Montag, 01.04.2019
Zurück in Tel Aviv finden wir uns heute nach dem Frühstück in der jüdischen Reformgemeinde Beit Daniel ein. Wir werden herzlich aber auch leicht skeptisch von der Rabbinerin empfangen. Sie erzählt sie uns viel Interessantes über das (reformierte) Judentum sowie die Arbeit in einer Synagoge und beantwortet unsere Fragen sehr ehrlich und eingehend. Wir sind davon angetan, eine seltene feministische Stimme in den israelischen Konfessionen zu hören. Ein besonderes Erlebnis: Die Rabbinerin lässt uns die kostbare, alte Thora-Schriftrolle halten. Sie erklärt uns, wie, wann und wo aus der Thora gelesen wird und was es mit den sehr akkurat gestalteten, handschriftlichen Textabschnitten auf sich hat. Nach dem Vortrag reflektieren Hanna und Michael von DIALOG mit uns die Exkursion-Erfahrungen der letzten Woche. In dem angeregten Austausch machen wir uns nochmal bewusst, was wir alles von dieser Reise mitnehmen werden. Danach fahren wir mit dem Stadtbus nach Jaffo, wo uns Michael eine Führung durch das Viertel gibt, bis er sich auf dem Rabinplatz verabschiedet. Am Abend packt uns das Ausgehfieber. Zusammen mit unseren Dozenten suchten wir eine gediegene Bar auf, deren Bedienung wir mit unserer Gruppengröße ein wenig überfordern.
Dienstag, 02.04.2019
Das offizielle Exkursionsprogramm ist beendet. Der letzte Tag in Tel-Aviv steht zur freien Verfügung. Wir finden uns in Kleingruppen zusammen, um abseits der (film-)historischen und politischen Themen zu genießen, was diese spannende Metropole zu bieten hat: den Flohmarkt von Jaffa, die markanten Gebäude des Bauhausviertels mit Audioguides, die Uferpromenade mit E-Scooter, Surfen in der Tel Aviver Brandung und ein Ausflug in einen gruseligen Escape Room. Vor allem die Gruppe um unsere Dozenten, die sich erfolgreich aus dem Escape Room befreit hat, ist beeindruckt von der kreativen und modernen Gestaltung des Rooms. Uns erstaunt wieder einmal das Nebeneinander der spannungsvollen Kontraste in Israel: Die säkulare Modernität Tel Avivs nehmen wir nach der religiösen und historischen Vielfalt in Jerusalem intensiv wahr.