Tagung am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 17. bis 19. Januar 2019
Veranstalter:
Dr. Guido Kirsten, Laura Katharina Mücke, M.A., Prof. Dr. Oksana Bulgakowa
Veranstaltungsorte:
Do, 17.1. - Medienhaus Wallstraße 11, Neuer Seminarraum (1.OG)
Fr, 18.1./Sa, 19.1. - Senatssaal, Naturwissenschaftliche Fakultät, Johann-Joachim-Becher-Weg 21
Inhaltliche Zusammenfassung:
Zu den zentralen ästhetischen Merkmalen des filmischen Mediums gehört, dass es
verschiedene Arten von Nähe/Distanz-Relationen zueinander in Beziehung setzt:
optische und akustische Abstände zum Geschehen; Abstände von Figuren und
Handlungszentren zueinander; zuschauerseitige Eindrücke des Eintauchens in die
Filmwelt (Immersion), des Hinausgeworfenwerdens oder Außenvorbleibens (Anti-
Immersion) und des Übergreifens von filmischen Elementen in den Raum der
Rezeption (Emersion). Aus der Konfiguration von unterschiedlichen Arten von
Nähe-/Distanz-Beziehungen generieren Filme besondere und zum Teil ambivalente
oder dissonante Effekte: So rücken wir in manchen Szenen den Figuren physisch
nahe, können uns aber aufgrund zurückgehaltener Storyinformationen nur bedingt
in sie hineinversetzen. Andere Filme operieren umgekehrt und suggerieren eine
große gefühlte Nähe zur Protagonistin bei gleichzeitiger optisch-akustischer
Distanz. Wir können in Welten hineingezogen werden, die uns emotional außen vor
lassen und umgekehrt Nähegefühle entwickeln, obwohl uns der Film stets auf
Abstand hält.
Für physische und sinnliche Distanzen im Film lassen sich drei Relationengruppen
voneinander unterscheiden:
- Die Nähe- und Distanzbeziehungen innerhalb des diegetischen oder
profilmischen Raumes: Wie groß sind etwa die Entfernungen zwischen
verschiedenen Handlungsorten, wie groß die zwischen den Figuren oder zwischen
Figuren und bedeutungstragenden Objekten – und welche Funktionen haben diese
Abstände? Hier wäre die Mise en Scène (etwa hinsichtlich der Proxemik in
kommunikativen Situationen) und die Narration (bspw. bezüglich sogenannter
Lateralellipsen) zu untersuchen. - Die Nähe/Distanz, die zwischen dem profilmischen oder diegetischen
Raum und seiner filmischen Repräsentation besteht (Einstellungsgrößen und -
winkel, Découpage, akustische Perspektive etc.). - Die Nähe- und Distanzbeziehungen, die sich dadurch manifestieren, dass
Filme in unterschiedlichen Dispositiven und zu unterschiedlichen Zwecken rezipiert
werden. Hier lässt sich unter anderem fragen, wie groß die suggerierte
Räumlichkeit des spezifischen Dispositivs ist (CinemaScope, 3D, VR etc.), in welchen
Entfernungen oder Anordnungen Film und Zuschauerin zueinander positioniert
sind (Kino, TV, mobiles Endgerät, Installation etc.), wie mobil oder immobil die
Zuschauer sind (ob sie also die Abstände zum Film während der Rezeption variieren
können) und welches temporale Regime das Dispositiv vorgibt (z.B. hinsichtlich von
intendierten oder nicht intendierten Pausen und Unterbrechungen der Rezeption).
Neben diesen physischen und sinnlichen Abständen sind auch die
metaphorischen Nähe- und Distanzbeziehungen zu berücksichtigen, die durch
kognitive und affektive Prozesse suggeriert werden (Empathie, Affekt und
Atmosphäre, Mise en phase und déphasage) sowie die Verfahren ihrer Erzeugung
(z.B. Point-of-View-Strukturen, Fokalisierung, Desynchronisation und andere
Mechanismen der Distanzierung und Verfremdung).
Gemeinsam möchten wir auf dieser Tagung die Begriffe von Nähe und Distanz
näher bestimmen, den mannigfaltigen Verschränkungen der unterschiedlichen
Abstandsarten nachgehen sowie ihr Verhältnis zu Kategorien wie Fokalisierung,
Empathie, optisch-akustischer und diegetischer Raum, Proxemik und Kinesik,
Körperlichkeit, Immersion und Dispositiv genauer ausloten. Theoretische
Überlegungen sollen sich mit Beispielanalysen verbinden. Interessiert sind wir auch
an der Integration von Konzepten und Methoden aus anderen Disziplinen.